Haut auf Haut spüren. Fremden Speichel auf der Zunge schmecken. Fremde und den eigenen Körper erkunden. Das Dasein mit der einzigen Berechtigung für das Sein an sich überhaupt feiern: mit der bedingungslosen, absoluten Liebe in all ihren Facetten. Zwölf Stücke haben Tocotronic geschrieben. Ein Kalimba Daumenklavier klimpert wie um neun Uhr morgens ein tingelnder After-Hour-Rave in einer Stadt, in der Frühling ist und die jungen Menschen zum ersten Mal wieder Sonne auf ihrer vom Winter gebleichten Haut spüren. Auf ihren Beinen. Auf den Händen. Und am meisten natürlich im Herzen. Dirk von Lowtzow hat auf dem roten Album Zeilen gedichtet, die man am wenigsten jemals mit ihm verbunden hätte, weil die deutschen Pop-Elite-Journalisten Tocotronic bis heute falsch verstehen. Als verkopft hat man Tocotronic verkauft. Und seitdem haben sie dieses Image. Ihnen fehlte einfach die Empfindsamkeit, die Dirk von Lowtzow haben muss. Die die ganze Band haben muss. Im selben Stück verzichten sie auf einen klassischen Bass. Jan Müller bedient dafür einen Synthesizer. Tocotronic öffnen sich auf dem roten Album tatsächlich gänzlich. Geistig und körperlich. Ihr rotes Album ist das schwulste Album der Welt. Zumindest wenn man das Schwulsein als kulturelle Eigenschaft gelten lassen will. Das rote Album ist die totale Ich-Auflösung in der Verschmelzung durch gegenseitiges Ausfüllen. Klassische Popsongstrukturen werden teilweise durchbrochen. Tatsächlich kann man sagen: Ihr rotes Album ist das schwulste Album der Welt. Es ist ja so, dass die Stilmittel, derer sich Tocotronic bedienen, nicht unbedingt neu sind. Neu ist allerdings, dass diese in Rockmusik übertragen und gleichzeitig so unrockend vorgetragen werden. Tocotronic sind vollends im Camp angekommen. Camp ist schwul. Die reine Ästhetik. So wie Puccini geklungen hätte, hätte er seine Tatarenkönige und die Minister Ping, Pang und Pong nicht mit Orchesterklang in ihr buntes Federwerk gesteckt, sondern mit Gitarre, Bass und Schlagzeug ebenso herrlich eingekleidet. Und doch liegt die Band für einige Stücke nur herum. Man kann sich das vorstellen. Diese vier wunderschönen Männer. Sie sind nackt zwischen Dirk Von Lowtzow Gay Laken. Ihre warmen, nach Liebe riechenden Hände streichen über kitzelnde Armhaare. Ein Song zum Weinen, weil es so schön ist, jemanden zu haben, mit dem man sich Dirk Von Lowtzow Gay. Obwohl Tocotronic das vermeintlich oberflächlichste und am meisten totgesungene Thema der Liebe gewählt haben, erreichen sie darin eine nie da gewesene Tiefe, die auch politischer ist als jede politische Kampfzeile, die sie jemals in jungen Jahren gesagt oder gesungen haben. Aber natürlich spinnen sie auch gehörig auf diesem Album. Der Höhepunkt dieser hocherotischen Ballaballa-Stimmung ist das letzte Stück. Ein Bach plätschert vorbei. Der Buntspecht hämmert surrend Löcher in den Baum. Wir hören Sonnenstrahlen. Und auf die Fieldrecordings haben sie Dirk von Lowtzows Stimme gelegt und eine verstimmte Gitarre. Man möchte für immer verliebt sein.
Katja Ebstein. Auch die Tiere, die da auftauchen und einen begleiten, das sind alles Mischwesen, eigentlich sind das Comicfiguren … Bela gespielt beleidigt : Und da zeigst du ganz selbstverständlich auf mich, ja? Dirk : Na ja, aber das waren essayistische Texte. Comicfiguren: Bela, alles klar? Bela : Deutsche Bands eben. Über uns.
Von den Problemen mit der deutschen Musik
Dirk von Lowtzow erzählt von Kindheit und Jugend in der Schwarzwaldhölle, von Aufruhr und Angst, vom Tod des engsten Kindheitsfreundes, vom sehnsüchtigen. Dirk von Lowtzow ( März in Offenburg) ist ein deutscher Musiker, vor allem bekannt als Sänger und Gitarrist der Band Tocotronic. Dirk von Lowtzow, geboren in Offenburg/Baden, gründete in Hamburg die Rockband Tocotronic gemeinsam mit Arne Zank und Jan Müller. Justus Köhncke bringt mit seiner Platte»Was ist Musik«den Schlagertechno auf den Plan und erzählt über schwule Musikästhetik.Seine Akustikgitarre hat er dabei mit im Gepäck, um die Lesung mit Tocotronic-Songs aus 30 Jahren Bandgeschichte zu verweben. Oder zumindest bis vor ein paar Jahren. Bei uns ist das ähnlich. Bela : Ja, und das ging von den Ärzten aus. Dirk : Ein Roman hat etwas Narratives, und das ist mir vollkommen fremd. Film und Serie. Bela : In der Band ist das meine Aufgabe. Da hängen dann auch diese Plakate …. Auf »Spiralen der Erinnerung« transportiert Köhncke gewichtige Lieblingslieder aus der hessischen Kindheit und Jugend - Vater Kunsterzieher, Velvet Underground und Silver Apples im Haus - so behutsam in einen House-Kontext, dass man glaubt, spüren zu können, was Songs wie »It's Too Late« oder »Wichita Lineman« in ihm ausgelöst haben. Ich habe selbst eine kleine Wohnung im Brandenburgischen. Wir erwähnen beide Hedy Lamarr. Und Kraftwerk natürlich. Bela : Wir haben immer diese ironische Brechung, das wird uns auch oft übelgenommen. Fragmente einer Sprache der Liebe in House? Man macht halt das Beste draus. Bela : Meine Lektorin, eine Freundin von mir, hat mir empfohlen, zur Vorbereitung ein Buch von Stephen King zu lesen. Bela : Stimmt, bei Tocotronic und den Ärzten, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen. Also kompromissloser Dancebeat plus Klage der Diva Disco, Achtziger bzw. In einer gerechten Welt wäre Rufus Wainwright ein Superstar und rührte Millionen zu Tränen. Klaus Nomi. Ein Wort, das wie kein anderes so hervorragend zur Dirk von Lowtzow passt. Der da kotzt, ist Justus Köhncke. Mit welchen Worten sich dieser Weg beschreiben lässt, müssten jedoch eher unsere Hörer uns sagen, einfach weil es schwierig ist, sich selber beim Entwickeln zuzugucken. Nu Darwin Metal? Von Lowtzow: … was es uns schwer gemacht hat, die Idee gut umzusetzen. Doch erst im Köhncke-Kontext fällt die Boney M. Dirk : Ich bin immer ein halbes Jahr vor der Deadline fertig. Aber natürlich spinnen sie auch gehörig auf diesem Album. Aktuelle Filme. Dirk : Na ja, aber das waren essayistische Texte. Ohne Not riecht das nach Mauschelei, obwohl es doch eigentlich um Bürgerbeteiligung geht. Es wäre mir wirklich schwergefallen, mir eine Geschichte auszudenken, die so stringent …. Diese Katholiken Jan Böhmermann: Schlappe vor Gericht im Schönbohm-Fall. Roxy Music? Mit dem Album »Die Unendlichkeit« thematisiert Dirk wie er sich wohl selbst auch in Interviews nennen würde neben der jährigen, fühlbar unendlichen Bandgeschichte auch seine eigene Geschichte.